„Es ändert sich immer erst was, wenn mal was passiert“, so schallt es seit jeher aus dem Volksmund, und der Volkskopf kann da nur zustimmend nicken, weil so ist es ja wirklich. Der Beispiele sind Legion, hier einige wenige:
Es bedurfte, und kaum jemand weiß es, unzähliger zerfurchter Mundpartien und ausgekratzter Augen, bis einstmals endlich ein unbekannter Wohltäter als sichere Alternative zur Gabel den Löffel erfand und somit nachfolgende Generationen feinmotorisch unbegabter Esser vor dem grausamen Schicksal eines entstellten Gesichts bewahrte. Infolgedessen ward auch gleich noch der Suppe in weiten Teilen der Welt zum kulinarischen Durchbruch verholfen, die sich bis dato zwar oft als schmackhaft, jedoch stets als mit Gabeln kaum sinnvoll handhabbar erwiesen hatte. Einzig im asiatischen Raum trotzt man bis hinein in unsere Zeit noch unverdrossen der Schwerkraft und der Logik und isst die Suppe abenteuerlicherweise mit Stäbchen. OK, müssen die wissen. Da muss sich jeder ins eigene Auge fassen.
Nicht überliefert ist auch die Zahl derjenigen arglosen Zeitgenossen, die sich beim Versuch, ihre Schuhe zu binden, stranguliert haben, sprich: bewusst- oder gar leblos aus den, noch nicht mal zugebundenen, Latschen gekippt sind. Ungeahnt die Zahl der ungeahndeten Verbrechen und der auf dem OP-Tisch verblichen Verbliebenen, die hätten gerettet werden können, wenn, ja wenn der Herr Kommissar oder der Herr Oberarzt beim Kampf mit den Schnürsenkeln nicht wertvolle Zeit und mitunter sogar das Bewusstsein verloren hätte. Erst die Erfindung und der sich daran anschließende weltweite Siegeszug des Klettverschlusses konnte hier endlich Abhilfe schaffen, und seither kann, wem das Hantieren mit Schnürsenkeln zu bedrohlich oder zu anspruchsvoll ist, mit einem „Ratsch“ seine Schuhe mirnichtsdirnichts öffnen und sie mit einem „Krkst“ wieder ganz elegant und gefahrlos zubinden, besser: zudrücken. Es lebe die Technik, die unser Leben nicht nur erleichtert, sondern bisweilen auch rettet!
Nicht minder verhängnisvoll: die hundsgemeine Heckklappe ganz und gar harmlos daherkommender Autos. Da hat sich schon so manch jemand bestenfalls eine zerbeulte Stirn geholt, schlimmerenfalls einen blutigen Hinterkopf oder noch schlimmerenfalls ach, ich mag gar nicht dran denken. Gefährlich, gar bedrohlich war es lange Zeit, das Schließen des Kofferaumdeckels, gleichsam eines der letzten Abenteuer, und wer das Essen mit Messer und Gabel überlebt und das Binden der Schnürsenkel nach quälenden Rückschlägen schließlich erlernt hatte, konnte sich doch seines Lebens nicht sicher sein, jedes Mal, wenn es eine Kofferraumklappe zu schließen galt. Bis schließlich ein findiger Geist die elektrisch betriebene Heckklappe erfand, die sich, durch einfachen Knopfdruck in Bewegung gesetzt, ganz ohne weiteres menschliches Zutun schließt.
Muss man nur noch (und deshalb schreibe ich dies alles, weil ich hab’s letzten Samstag eigenäugig gesehen!) rechtzeitig sich selbst von unter der Heckklappe weg in Sicherheit bringen. Sonst ergeht es einem wie der Dame an der Autobahnraststätte, die dem Deckel ihres stolzen Audi A8 50 TDI per Knopf das Schließen befohlen hatte, dann aber aus unerfindlichen Gründen ihre Hand noch etwas in der Luft zu lassen beschloss, woraufhin ihr prompt der Heckdeckel, peng, gegen selbige knallte. Was soll ich sagen? Die Maschine gewann die Auseinandersetzung mit dem Menschen. Die Klappe setzte ihren Weg nach unten unbeirrt fort, während die Dame mit schmerzverzerrtem Gesicht ebenfalls kurz nach unten, sprich: in die Knie, ging, ihre Hand in die andere nahm und tapfer bemüht war, sich den (im wahrsten Wortsinn) Fehlgriff nicht anmerken zu lassen. Der Göttergatte war mit dem Hund und dessen Geschäft beschäftigt und hat’s deshalb nicht mitbekommen. Ich schon.
Ich seh das ältere Ehepaar vor mir, beim Audi-Händler, wo sie zu ihm sagt „Oh, Egon, schau, der würde mir gefallen!“ Und Egon darauf „Ja, Waltraud, mir auch. Und schau mal, ‚A8 50‘ – der heißt ja wie dein IQ! Den nehmen wir! Der hat sogar eine elektrische Heckklappe.“
Liebe Leser, wer mich kennt, weiß: Schadenfreude liegt mir so fern wie Rosenkohl. Aber bei den Geschichten, die das Leben schreibt, tut sich halt bisweilen auch mal jemand weh. So habe ich mir beispielsweise im zarten Alter von cirka zehn Jahren bei einem Freudensprung direkt unter dem häuslichen Küchentürrahmen eine Platzwunde zugezogen, die noch bis heute meine Stirn ziert, lediglich mittlerweile leicht kaschiert durch die drumherum entstandenen Lach-, Sorgen- und Denkfalten. Auf dieses schmerzhafte Ereignis geht im Übrigen die Erfindung des Lofts zurück – nichts ist sicherer als ein riesiger Raum, weitestgehend ohne Wände, Türen und die gemeingefährlichen Türrahmen. Nichts für ungut, gern geschehn.
P.S.: Waltraud und Egon haben ihre Limousine wieder zurückgegeben und stattdessen einen Pick Up geordert – der kommt, dank offener Ladefläche, ganz ohne heimtückischen Kofferaumdeckel aus. So können beide wieder ruhig schlafen – gern auch mal auf der linken Spur. Und so einen gibt’s von VW – bleibt’s also in der großen Wolfsburger Diesel-Dynastie. Der Pick Up wurde übrigens erfunden, nachdem zahllose leidgeplagte Kleinlasterfahrer … oh nee, die Geschichte erspare ich Ihnen lieber!