Augen auf bei der Berufswahl

Im Deutschlandfunk wurde sich neulich Vormittag darüber unterhalten, ob und ggf. wie man von Musik leben kann. Hab umgeschaltet. Dass es überhaupt so eine Fragestellung gibt, macht mich schon grübeln, impliziert sie doch, dass derlei Ansinnen offenbar mindestens problembehaftet ist.

Dabei weiß ich das alles eh schon, da brauch ich keine weitere Aufklärung, schon gar nicht von Leuten, die davon leben können, dass sie sich im Radio darüber auslassen, von was andere Leute nicht leben können. Mit der Musik hab ich’s selbst versucht. Weil’s nicht geklappt hat, schreibe ich jetzt. Wovon ich auch nicht leben kann, was mir aber schon klar war, eh ich damit angefangen hab, und deshalb ist das auch kein Problem und auch kein Thema für den Deutschlandfunk.

Ein Problem haben dagegen bspw. der taxifahrende Schauspieler und die langzeitarbeitslose Musikwissenschaftlerin, über die ebenfalls unlängst im Radio auf dem selben Sender berichtet wurde, weil sie sich mit der Agentur für Arbeit angelegt hatte. Diese beiden exemplarisch hier Genannten sind leider nicht die Ausnahmen, sondern eher die Regel unter den von der Kunst leben Wollenden, und meine Begegnung mit dem unfassbar guten Solo-Tenor, der auf dem Lohnniveau von Altenpflegern (BEIDE unterbezahlt) an einem ostdeutschen Staatstheater operiert, wird mir auf ewig unvergessen bleiben.

Der langen Rede (und Radiosendung) kurzer Sinn: Scheint so, als sei es quer durch sämtliche künstlerisch-kreativen Disziplinen problematisch, wenn man seine Leidenschaft und/oder sein Talent zum Beruf machen will.

Anderweitig Begabte haben es da einfacher. Wer bereits in Kindertagen einen Hang zu Schwindel und Mauscheleien an den Tag legt, kann es im Erwachsenenalter zu einer ansehnlichen Laufbahn im branchenübergreifend expandierenden Geschäftsfeld Betrug und Korruption bringen. Obendrein eine gewisse Gewissenlosigkeit beim Gebrauch physischer Gewalt vorausgesetzt, kann das sogar noch einträglicher werden, obschon der Arbeitsalltag bisweilen riskant und daher nur den wirklich besonders harten und/oder besonders gierigen Zeitgenossen zu empfehlen ist.

Soll es doch partout ein Kreativ-Job sein, so haben Denkdurchfall und geistige Niedrigniveau-Erzeugnisse Hochkonjunktur, da brauchen Sie bloß mal den Fernseher einzuschalten. Das ist auch eine Boom-Branche, die in ihren krassesten Auswüchsen bisweilen ebenfalls an Körperverletzung grenzt – aber da kann der oder die Bedrohte zumindest noch abschalten, ehe es zum eigentlichen Gewaltakt kommt.

Fest steht: Für den wahren, schönen, guten Künstler ist eine „ganz normale“ Arbeit jedenfalls keinesfalls wirklich befriedigend, bisweilen sogar eine Zumutung, gleichwohl jedoch ein immer noch sichererer Broterwerb als die Kunst.

Selbst wenn Sie die Kunst beherrschen, ein Wort mit „ererer“ sinnvoll in einen gültigen deutschen Satz einzubauen, werden Sie dafür wohl nicht mehr ernten als höchstens anerkennendes Kopfnicken.

[anerkennendes Kopfnicken]

Diese Zeilen schreibe ich in der Mensa des Olympiastützpunktes des Saarlandes, während ich auf einen Auftritt warte, von dem ich nicht werde leben können. Aber ein paar in der Art reichen, um zumindest nicht taxifahren zu müssen. Hier werden Sportskanonen und Turnflöhe auf ihre zukünftigen Karrieren vorbereitet. Ich sitze inmitten von massigen osteuropäischen Ringern und zierlichen höchsttalentierten Mädchen einstelligen Alters, welche vermutlich schon den dreifachen Touliploopflipflap beherrschen, sich während der Flugphase einen Zopf mit drei Strängen flechten und währenddessen die acht Planeten des hiesigen Sonnensystems alphabetisch sortiert aufsagen können. Bis 2006 waren es neun Planeten, dann aber wurde Pluto der Planetenstatus aberkannt, weil er der revidierten Definition von Planeten nicht mehr entsprach. Wir können davon ausgehen, dass das dem Pluto, obschon unmittelbar betroffen, gänzlich wurscht war. Womit wir endgültig bei des Pudels Kern angekommen wären:

Wenn es ganz offensichtlich eine Planetenverwaltungsbehörde gibt, und in dieser ganz offensichtlich auch Zeitgenossen, die sich mit der Frage beschäftigen, wann ein Planet ein Planet ist und wann nicht, dann ist das schon höchst befremdlich. Wenn ich mich nun zu der, wie ich finde berechtigten, Annahme aufschwinge, dass von allen Mitarbeitern des Sternenübersichtsaufsichtsamts wohl nur, wenn überhaupt, ein minimaler Prozentsatz nebenher noch taxifahren muss, um sich und seine Liebsten über Wasser zu halten, und wenn ich dann im Zuge dessen all der mittel- oder gar arbeitslosen Künstler und Kreativen (s.o.) gedenke, dann geht mir auf, dass hier doch echt gehörig was schief läuft.

Und dann schaue ich mich um in der besagten Mensa unter all den Nachwuchssportlerinnen und -sportlern, denen der Ehrgeiz und die Hoffnung aus den Augen blitzt und aus jeder Schweißdrüse quillt (teils noch während des Essens – das ist nicht schön!). Einträchtig sitzen sie dort, verbunden durch und angespornt von der Aussicht auf Ruhm und Ehre, Werbeverträge und Preisgelder und ein einträgliches Auskommen, das sie sich mit ihrem zum Beruf gemachten Hobby werden verdienen können, und dann möchte ich mich erheben und in die Runde rufen „Leute, vergesst es! Es ist nur eine Illusion, der Ihr nachjagt! Nur ein winziger Bruchteil von Euch wird es jemals schaffen, von dem leben zu können, was Ihr mit Eurem Sport je werdet verdienen können. Vergesst es! Selbst Leute, die darüber zu Rate sitzen, ob Pluto nun ein Planet ist oder nicht, verdienen besser als Ihr. Also geht nach Hause. Esst zuvor meinetwegen noch Eure Spaghetti mit Tomatensauce zu Ende und holt Euch an der Kasse noch ein Belasto für den Heimweg – so billig wie hier kommt Ihr nämlich draußen in der echten, harten Berufswelt vermutlich nie wieder zu einer warmen Mahlzeit. Aber dann geht heim und studiert Astrophysik. Und kommt nicht auf die Idee, Musiker zu werden oder bildender Künstler oder Schauspieler! In dem Fall könnt Ihr auch gleich hier bleiben. Das Ergebnis ist in jedem Fall das selbe: man trifft sich am Taxistand.“

Klarstellung: Ich schätze Taxifahrer sehr. Ich persönlich kenne keine Berufsgruppe, deren Angehörige zumindest zum Großteil derart cool und tiefenentspannt sind wie Taxifahrer. Die allermeisten Taxifahrer, mit denen ich zu fahren das Vergnügen hatte, waren ausgesprochen freundlich und herrlich unaufgeregt. Einer war Schriftsteller. Erzählte mir, dass man vom Schreiben allein nicht leben könne. Heut weiß ich, was er damit gemeint hat. Vielleicht treffe ich ihn eines Tages wieder, und ich kann ihm dann erzählen, dass sich das mit der Musik genauso verhält. Und dann halten wir ein Schwätzchen. Am Taxistand. Unter Kollegen, während wir auf Kundschaft warten. Und auch das wird dann kein Problem sein.

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